In meinem Artikel zu Process Mining bin ich ja recht kritisch mit der Thematik ins Gericht gegangen. Nichtsdestotrotz ist es natürlich ein sehr spannendes Thema, das selbstverständlich (noch 😉) seine Berechtigung hat. Daher möchte ich in meinem heutigen Blog auf einen sehr guten Online-Kurs des Hasso-Plattner-Instituts zum Thema Process Mining hinweisen. Unter diesem Link finden Sie weitere Informationen zu dem englischsprachigen Kurs, der unter dem Titel A Step-by-Step Introduction to Process Mining angeboten wird.
In dem zweiwöchigen Kurs werden die drei Disziplinen des Process Minings (Process Discovery, Process Enhancement, Conformance Checking) sehr detailliert und anhand eines durchgängigen Beispiels (Schadensbearbeitungsprozess) eingängig erläutert.
In der ersten Woche stehen die Grundlagen des Process Minings im Mittelpunkt: Was ist Process Mining überhaupt? Auf welchen Daten arbeitet Process Mining? Wie werden aus Daten Ereignisse und was hat es mit den Event Logs auf sich? Wie funktioniert das Process Discovery und wie können die während des Process Discovery-Vorgangs hergeleiteten Prozessabläufe weiter verbessert werden (Process Enhancement)?
Die erste Woche wird von Prof. Dr. Mathias Weske vom Hasso-Plattner-Institut Potsdam gehalten.
In der zweiten Woche steht das Conformance Checking im Mittelpunkt. Es werden u.a. folgende Fragestellungen adressiert:
- Welche Qualitätsmetriken gibt es und wie können sie auf die entdeckten Prozesse angewandt werden?
- Wie wird Conformance Checking durchgeführt?
- Was wird durch Conformance Checking letztendlich erreicht?
Darüber hinaus werden auch Themen wie Decision Mining (wie kann ich auf Basis des vorhanden Event Logs Entscheidungen extrahieren) und Time Predictions (wie kann ich auf Basis der Event Logs Vorhersagen über die Zeitverläufe noch nicht beendeter Prozessinstanzen treffen) diskutiert, die man so nicht in jedem Kurs zu Process Mining findet. Abgerundet wird die Woche mit praktischen Aspekten des Conformance Checkings und wie Tools einen automatisierten Abgleich zwischen Soll- und Ist-Abläufen ermöglichen.
Für die zweite Woche ist Prof. Dr. Henrik Leopold von der Kühne Logistics University Hamburg zuständig.
Alles in allem ein sehr lohnenswerter Kurs, der in der gegebenen Zeit grundlegendes Wissen rund um Process Mining vermittelt!
Process Mining und der Prozessgesteuerte Ansatz
Schaut man sich den Kurs etwas genauer an, so wird auch sehr schön deutlich, warum der Einsatz des Prozessgesteuerte Ansatzes zu einer reduzierten Bedeutung von Process Mining führt, so wie ich es in meinem Process Mining-Artikel ausgeführt hatte. Ich beziehe mich hierbei auf Video 1.8 der ersten Woche, in dem es um Process Enhancement geht. Ab Minute 16:13 des Videos wird die Lektion zu Process Enhancement zusammengefasst. Das Beispiel des Schadensbearbeitungsprozesses wurde im Laufe der Lektion auf Basis eines BPMN-Modells kontinuierlich verbessert (genau das macht ja das Process Enhancement aus). Natürlich werden die Prozessverbesserungen auch in den realen Prozessen eingebracht (also implementiert), wobei allerdings nicht genannt wird, wie die Implementierung konkret erfolgte. Jedenfalls zeigten sich bei der anschließenden Überprüfung des neu implementierten Prozesses Abweichungen zwischen dem ursprünglich angestrebten Soll-Prozess und dem real ausgeführten Ist-Prozess.
Als aufmerksamer Zuschauer fragt man sich natürlich schon, wie so etwas überhaupt passieren kann, zumal ja ein BPMN-Modell die Grundlage für die Modellierung der Prozessverbesserungen war. Warum nimmt man nicht dieses BPMN-Modell und bringt es nach den Regeln des Prozessgesteuerten Ansatzes so wie geplant zur Ausführung?
Denn genau das wird durch den Einsatz des Prozessgesteuerten Ansatzes vermieden: Die Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Abläufen!
Es ist an dieser Stelle des Kurses wirklich schade, dass auf diese Option einer möglichen Prozessimplementierung nicht hingewiesen wurde. Denn es hätte verdeutlicht, wie sich ein Unternehmen Schritt für Schritt aus dem Schlamassel der undurchsichtigen Prozessverflechtungen hätte befreien können. So wurde wieder nur ein Prozess implementiert, der die Situation der undurchdringlichen Prozessabläufe verschlimmert hat, da die Umsetzung abermals neue Abweichungen mit sich brachte.
So aber kann unmöglich die Zukunft von Prozessimplementierungen aussehen!
Ganz einfach:
Die HPI-Leute haben den Prozessgesteuerten Ansatz trotz BPMN-Kenntnissen nicht verstanden.
Eigentlich trostlos!
Warum ist das so?
Darüber kann man lange reden, ist aber zwecklos, da alles bereits gesagt ist. Rauf und runter!
H. Wedekind