„Selber machen“ ist das Motto der Digitalen Transformation

Vielleicht haben Sie heute (10.03.2021) auch von Apples neuen Plänen hinsichtlich der Investitionen in den Standort Deutschland erfahren. Wie z.B. diesem Artikel auf der Webseite des bayerischen Rundfunks zu entnehmen ist, will Apple mehr als eine Milliarde Euro investieren und u.a. München zum Europäischen Zentrum für Chip-Design ausbauen. Neben diesen erfreulichen Ankündigungen für den Standort Deutschland ist aber eine weitere wichtige Botschaft für uns von besonderem Interesse. Ich zitiere aus obigen Artikel:

„Apple hatte früher für seine Produkte wie iPhone, iPad und Mac vor allem Chips von Herstellern wie Qualcomm und Intel bezogen. Der kalifornische Konzern verfolgt aber seit Jahren einen Masterplan, die wichtigsten Halbleiter selbst zu entwerfen.“

Die Einsicht von Managern, wettbewerbsentscheidende wertschöpfende Aktivitäten selbst zu erbringen und nicht erbringen zu lassen, ist ein ganz typischer Trend bei der digitalen Transformation, der branchenübergreifend zu beobachten ist.

Denken Sie beispielsweise an Tesla. Tesla lässt es sich ebenfalls nicht nehmen, soweit es irgendwie möglich ist, sämtliche in ihren Autos verbauten Teile selbst zu produzieren und nur so wenig wie möglich zuliefern zu lassen.

Bei Amazon geht es soweit, dass der Begriff „Standardsoftware“ für das Unternehmen ein Fremdwort zu sein scheint. Sämtliche Software zur Abwicklung ihrer Prozesse stammt selbstverständlich aus dem eigenen Hause. Es ist dadurch sogar ein eigenes neues Standbein entstanden, das uns allen unter dem Begriff „Amazon Web Services“ (AWS) wohlbekannt ist. AWS ist mittlerweile zu einem wichtigen wirtschaftlichen Bestandteil von Amazon geworden.

Last but not least ist Netflix selbst zum Filmproduzenten geworden und streamt nicht mehr nur die Filme etablierter Studios.

Alle diese Beispiele zeigen eines sehr deutlich: Die Firmen streben eine größtmögliche Unabhängigkeit an, um jederzeit das Ruder fest in den Händen halten und bei veränderten Rahmenbedingungen agieren (und nicht nur reagieren) zu können. Denn in unserer schnelllebigen Zeit der digitalen Transformation ist genau das überlebenswichtig: Schnell agieren zu können!

Vor diesem Hintergrund ist es teilweise nur schwer zu verstehen, wie sich unsere einheimischen Unternehmen aktuell verhalten. Gerade bei IT-Themen scheint es ja nur noch einen großen Trend zu geben: Ab in die Cloud! Unternehmen müssen sich aber im Klaren darüber sein, dass sie die Kontrolle über Stamm- und Bewegungsdaten als auch Prozesse an die Cloud-Dienstleister abgeben. Die Abhängigkeit von dem Cloud-Provider ist also immens.

Schnelle Eingriffe sind da nur schwerlich möglich. Eine für mich angesichts der anstehenden Herausforderungen der digitalen Transformation schwer nachvollziehbare Einstellung. Ich kann nur hoffen, dass wenigstens die für ein Unternehmen wettbewerbsentscheidenden Prozesse im eigenen Rechenzentrum verbleiben. Denn nur so kann zumindest in diesem Kerngebiet adäquat gehandelt werden.

Ähnlich trübe sieht es in unserer Automobilindustrie aus: Sie zeichnet sich dadurch aus, relativ wenig selbst zu produzieren, sondern sich die benötigten Teile und Vorprodukte von unzähligen Partnern zuliefern zu lassen. Auch hier ist eine hohe Abhängigkeit von den Zulieferern zu attestieren.

Was wir hier beobachten ist also das genaue Gegenteil von dem, was obige erwiesenermaßen erfolgreiche Unternehmen aktuell tun.

Das sollte unseren Unternehmen zumindest zu denken geben! Ich für meinen Teil kann „nur“ für die IT-Seite Stellung beziehen. Und da lautet die Devise ganz eindeutig: Nur eine handlungsfähige IT sichert das Überleben der Unternehmen auf ihrem Weg in die digitale Transformation. Umso wichtiger ist folglich die Kontrolle über die eigenen Kernprozesse und die Unabhängigkeit von externen Dienstleistern! Derartige Prozesse haben also nichts in der Cloud verloren. Unternehmen sollten sich also sehr gut überlegen, was sie an externe Cloud-Anbieter auslagern und was nicht. Denn wer weiß, welcher Prozess als nächster von einer disruptiven Innovation betroffen sein wird. Dann können Unternehmen nur hoffen, dass es kein Prozess ist, den sie in die Cloud ausgelagert haben…

Warum investieren Menschen in Unternehmen, die öffentlich zugeben, dass sie die für die Zukunft wichtige Digitalisierung nicht beherrschen?

Interessieren Sie sich für Börse und das Investment in Aktien? Dann können Sie mir vielleicht weiterhelfen, denn ich frage mich, warum Menschen in Unternehmen investieren, die öffentlich zugeben, dass sie die Digitalisierung nicht beherrschen? Wie ich darauf komme? Das ist relativ einfach und meine Argumentationskette sieht dabei wie folgt aus: An der Börse wird die Zukunft gehandelt, das dürfte unstrittig sein. Die Zukunft aller Unternehmen ist mit Sicherheit daran geknüpft, wie gut Unternehmen für die Digitalisierung gerüstet sind. Ein Kernaspekt der Digitalisierung ist jedoch, wie gut es Unternehmen gelingt, innovative digitale Geschäftsmodelle zu entwickeln, um neue Märkte, neue Kundengruppen für sich zu gewinnen und um letztendlich Wachstum zu generieren. Was zeichnet also diese neuen digitalen Geschäftsmodelle konkret aus? Sie werden letztendlich durch innovative Prozesse umgesetzt. Die Fähigkeit, die richtigen Prozesse effizient umsetzen, betreiben und an Veränderungen anpassen zu können, wird zukünftig über das Überleben von Unternehmen entscheiden. Darüber habe ich auch auf meiner Webseite schon mehrfach geschrieben, zuletzt in diesem Artikel über das „Innovator’s Dilemma“ und dessen Lösung über den „Prozessgesteuerten Ansatz“.

Selbst klassische Produkthersteller werden nicht umhinkommen, neben hervorragenden Produkten zukünftig auch begleitende Dienstleistungen in Form von Prozessen umzusetzen. Von daher ist es sicherlich nicht zu gewagt zu sagen, dass ein Unternehmen genau dann gut für die Zukunft gerüstet und damit investitionswürdig ist, wenn es seine Prozesse beherrscht. Soweit, denke ich, spricht sicherlich nicht allzu viel gegen diese Argumentationskette.

Nun gibt es aber Unternehmen, die sich tatsächlich öffentlich dazu bekennen, dass sie diesen wichtigen Zukunftsaspekt (die Beherrschung ihrer Prozesse) schon heute nicht erfüllen. Woher soll ich als Investor also dann das Vertrauen nehmen, dass sich dies zukünftig ändern wird? Kurz: Warum sollte ich dann gerade in diese Unternehmen investieren?

Ich kann Ihnen darauf leider auch keine Antwort geben, genau deshalb richte ich meine Frage ja an Sie, weil derartige Investitionen trotz der Kenntnis über diese Unzulänglichkeiten tagtäglich durchgeführt werden!

Einen Punkt habe ich natürlich bewusst offen gelassen, Sie haben es sicherlich gemerkt. Wo geben Unternehmen denn bitteschön öffentlich zu, dass sie ihre Prozesse nicht beherrschen und warum machen sie das überhaupt? Ist es nicht höchst fragwürdig oder sogar geschäftsschädigend, wenn Unternehmen ein derartiges öffentliches Bekenntnis abgeben?

Ich kann Ihnen diesbezüglich nur Recht geben – auch ich verstehe es nicht. Aber dennoch tun sie es – unwissentlich. Sie verpacken diese „geheime Botschaft“ in Form von Erfolgsgeschichten! Der Schlüssel zum Verständnis meiner Schlussfolgerungen hängt mit dem Einsatz sogenannter Process Mining-Software zusammen. Überspitzt ausgedrückt wird Process Mining von Unternehmen genau dann eingesetzt, wenn sie die Kontrolle über ihre Prozesse verloren haben und letztendlich nicht mehr durchblicken. Process Mining kann dann Licht ins Dunkel bringen, indem die Abläufe grafisch aufbereitet werden.

Sie glauben mir nicht? Dann machen wir es konkret: Ich greife dabei auf Siemens als Beispiel zurück. Siemens hat auf der Kundenseite von Celonis, einem der führenden Hersteller von Process Mining-Software, eine solch vermeintliche „Erfolgsgeschichte (Success Story)“ veröffentlicht. Dort heißt es ziemlich unzweideutig: „Bei einer nahezu unendlichen Anzahl von Geschäftsvorgängen sind die Prozesse in einem Unternehmen wie Siemens hochkomplex und wenig transparent.“ Später heißt es dann: „Die Verantwortlichen müssen die Optimierung bewerten, indem sie Transparenz nutzen, die Process Mining geschaffen hat.

Was hier in Marketing-Worten so schön mit „nicht vorhandener Transparenz“ verklausuliert wird, bedeutet letztendlich nichts anderes als Kontrollverlust. Siemens versteht also ihre eigene Prozesswelt und damit eigentlich auch ihr Geschäft nicht so richtig. Eine für mich zumindest mehr als fragwürdige Außendarstellung eines Unternehmens und ich frage mich natürlich auch, warum Unternehmen so etwas tun? Siemens ist ja weiß Gott nicht das einzige Unternehmen, das sich derart zur Schau stellt. Sie können sich einen x-beliebigen Hersteller von Process Mining-Software herausgreifen und sich auf deren Webseite nach Kundenreferenzen umsehen. Sie werden staunen, was sich da so alles entdecken lässt. Um bei Celonis zu bleiben, finden sich auf deren Webseite der Kundenreferenzen so illustre Unternehmen wie Vodafone, Lufthansa, Dell, Campari, MediaMarktSaturn, Deutsche Telekom, Uber, ABB, Zalando usw. usw. Wahrscheinlich liegt die Antwort auf die Frage nach dem „Warum“ in dem Glauben dieser Unternehmen, durch eine derartige Veröffentlichung ihre fortschrittliche Haltung zum Ausdruck bringen zu können. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall: Sie machen deutlich, dass sie eine ganz entscheidende Fähigkeit für einen zukünftigen Erfolg in der Digitalisierung vermissen lassen: Die Beherrschung ihrer Prozesse!

Wir halten also fest:

  1. Der Einsatz von Process Mining zeigt die Unfähigkeit eines Unternehmens, sein Geschäft effizient zu führen und ist ein ernstzunehmendes Alarmsignal.
  2. Der Einsatz zeigt gleichzeitig, wie schlecht das Unternehmen für die digitale Zukunft gerüstet ist! Denn wenn es schon heute seine Prozesse nicht beherrscht, wie soll dies dann in der Zukunft gelingen, wenn ein effizientes Prozessmanagement für die Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle als essenzielle Kernkompetenz über das Überleben eines Unternehmens entscheiden wird?
  3. Last but not least zeigt der Process Mining-Einsatz auch, dass das Unternehmen lediglich an der evolutionären Innovation arbeitet und die für seine Zukunft viel wichtigere disruptive Innovation vernachlässigt (falsche Fokussierung).

Stattdessen sollten Unternehmen überlegen, wie sie den Einsatz von Process Mining vermeiden können! Das ist der Schlüssel für die Zukunft! Und wie das erreicht werden kann, habe ich ausführlich auf meiner Webseite erläutert. Wenn Sie mehr über dieses Thema erfahren wollen, empfehle ich Ihnen meine kritische Auseinandersetzung über den Einsatz von Process Mining in Unternehmen. In dem Artikel erfahren Sie auch, wie sich Unternehmen aus dieser gefährlichen Gemengelage befreien können.

Doch nun zurück zu meinem Ausgangspunkt: Nachdem Sie meine Argumentation gelesen und insbesondere obige drei Punkte berücksichtigt haben, können Sie mir jetzt erklären, warum die Tatsache der ungenügenden Vorbereitung der Unternehmen auf die digitale Zukunft bei Investitionen keine Rolle zu spielen scheint?