Process Mining und der „Prozessgesteuerte Ansatz“

In der aktuellen Ausgabe des Magazins €uro (€uro 06/20, S. 16-19) findet sich ein interessanter Artikel überschrieben mit dem Titel „Digitale Krisenhelfer“ über den Einsatz digitaler Lösungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie. Darin wird u.a. auch das Thema Process Mining aufgegriffen. Process Mining erlaubt die Rekonstruktion von Prozessen aufgrund digitaler Spuren, die während der Prozessausführung entstehen, wie z.B. der Anlagezeitpunkt eines Auftrags, der Korrekturzeitpunkt eines Auftrags, der Produktionszeitpunkt eines Artikels zu diesem Auftrag, der Auslieferungszeitpunkt des Artikels an den Kunden usw.). Auf Basis dieser Zeitpunkte, die in unterschiedlichsten Systemen entstehen und mitprotokolliert werden, kann eine Process Mining-Software durch Zusammentragen und zeitlicher Sortierung eine Ausführungsreihenfolge ermitteln und diese im Anschluss grafisch darstellen, idealerweise in Form eines Prozessmodells.

Natürlich ist in dem Artikel mal wieder von der Bedeutung effizient ablaufender Prozesse und der Forderung nach mehr Transparenz die Rede. Process Mining wird einmal mehr als Heilsbringer des Prozessmanagements dargestellt, da durch den Einsatz von Process Mining Schwachstellen in Unternehmensabläufen sichtbar gemacht und entsprechende Optimierungen durchgeführt werden können.

Zunächst einmal ist es grundsätzlich richtig: Process Mining-Software kann Unzulänglichkeiten in Abläufen aufdecken. Sie liefert (allerdings mit Einschränkungen, wie noch zu sehen sein wird) die geforderte Transparenz. Dafür wurde sie ja letztendlich auch entwickelt.

ABER: Unternehmen, die zu solchen Lösungen greifen, senden eine fatale Nachricht nach außen, denn sie geben unterschwellig zu, dass sie keine Ahnung darüber haben, was in ihrem Unternehmen eigentlich abläuft. Das ist doch eigentlich ein Skandal! In den Unternehmen werden Millionen in Software zur Abwicklung des Geschäfts investiert, um dann weitere Millionen in Process Mining-Software zu stecken, nur um zu sehen, was die Software zur Geschäftsabwicklung eigentlich macht und wie im Unternehmen gearbeitet wird.

Aber nicht genug damit: Im Artikel werden diese Unternehmen auch noch als Vorbilder für die Digitalisierung angeführt. Genannt werden beispielsweise AkzoNobel, BMW, Cisco, Lufthansa, Siemens, Uber und ABB (S. 17). Muss man das verstehen? Ich würde mich als Verantwortlicher dieser Unternehmen jedenfalls schämen, bedeutet dies doch, dass ich „meinen Laden“ nicht im Griff habe!

Process Mining wurde also nur deshalb hoffähig, weil Unternehmen nicht mehr nachvollziehen können, wie ihre Prozesse letztendlich ablaufen. Dies wird u.a. durch die Historie der entwickelten und gekauften Lösungen, aber auch über die Art und Weise, wie die Prozesse letztendlich umgesetzt wurden, gefördert. Denn schlussendlich verlieren sich die Prozesse in der programmierten Software, sie sind für externe Teilnehmer nicht sichtbar. Und Programme zur Prozessausführung, so gut sie auch programmiert sein mögen, visualisieren nun mal keine Prozessabläufe. Dazu braucht es dann spezielle Software, um die Abläufe im Anschluss sichtbar zu machen. Eben Process Mining-Software.

Meine grundsätzliche Kritik an Process Mining ändert auch dieser Artikel natürlich nicht, denn am Ende des Tages trägt Process Mining Software lediglich zum Erkenntnisgewinn bei. Ähnlich wie ich dies bereits in meinem Artikel zur Motivation des „Prozessgesteuerten Ansatzes“ für die künstliche Intelligenz ausgeführt habe, muss dem Erkenntnisgewinn eine entsprechende Handlung folgen, z.B. durch Anpassung der Prozesse an neue Gegebenheiten, umbeispielsweise die Produktivität zu steigern. Dazu liefert Process Mining jedoch keinerlei Beitrag. Wahrscheinlich wird zur Lösung der aufgedeckten Unzulänglichkeiten wieder nur „rumprogrammiert“, um damit die Komplexität (und damit Unübersichtlichkeit) nur noch weiter zu steigern. Es wird also an den Symptomen herumgedoktert, statt das Übel an der Wurzel zu packen!

Ein weiteres Problem: Process Mining kann nur das visualisieren, was zuvor auch mitprotokolliert wurde, denn nur auf Basis existierender digitaler Spuren ist eine Rekonstruktion umsetzbar. Es wird aber nun mal nicht alles mitprotokolliert. Folglich bleiben noch viele Bereiche im Dunkeln und resultieren in einem unvollständigen Gesamtbild!

Zur Lösung bietet sich auch hier der „Prozessgesteuerte Ansatz“ an. Er löst alle genannten Probleme: Unternehmen erhalten effiziente Prozesse und dabei gleichzeitig die so dringend benötigte Transparenz. Denn diese ist durch ausführbare Prozessmodelle sofort gegeben! Die Vollständigkeit der Informationen wird durch die explizite Modellierung jedes einzelnen Prozessschrittes gewährleistet und ist somit qualitativ hochwertiger als die durch Process Mining-Software ermittelten Daten. Wären also Anwendungen nach dem „Prozessgesteuerten Ansatz“ entwickelt worden, gäbe es überhaupt keine Notwendigkeit für Process Mining-Lösungen! Von daher können Hersteller von Process Mining-Software nur hoffen, dass sich der „Prozessgesteuerte Ansatz“ nicht zu schnell durchsetzt. 😉

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