In einem meiner früheren Blog-Beiträge bin ich schon einmal auf das Interview der Nürnberger Nachrichten mit dem Datev-Chef Dr. Robert Mayr eingegangen. Das Interview von F. Holzschuh mit Hrn. Dr. Mayr ist tatsächlich in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen stehen bei Hrn. Dr. Mayr ganz offensichtlich Prozesse im Zentrum der Digitalisierung. Zum anderen entmystifiziert er die Künstliche Intelligenz. Beide Standpunkte kann ich aus eigener Erfahrung nur unterstreichen! KI ist sicherlich wichtig, darüber müssen wir nicht diskutieren. Der Hype um KI ist aber nahezu schon fast unerträglich. Allein in Bayern wurden kürzlich 50 (!) neue KI-Professuren angekündigt (siehe z.B. hier die Meldung darüber in der Süddeutschen Zeitung). Auf der anderen Seite vernachlässigen wir sträflich die für Unternehmen viel naheliegenderen Möglichkeiten der Prozessautomatisierung. Hr. Dr. Mayr rückt mit seiner Aussage die Verhältnisse wieder zurecht und das ist gut so! Ob wir den Rückstand in der KI aufholen können, wag ich nicht zu prognostizieren. Aber Prozesse waren von jeher eine unserer Stärken und der Vorsprung, den wir hier noch haben, könnte durch den „Prozessgesteuerten Ansatz“, dem innovativen auf Prozessmodellen basierenden Automatisierungsverfahren, weiter ausgebaut werden! Es ist tatsächlich eines der wenigen technologischen Gebiete, auf denen wir noch führend sind. Wir sollten diesen Vorsprung durch eine ausschließliche Fokussierung auf KI nicht wieder leichtfertig verspielen!
Daher mein Vorschlag: DPE statt KI! Statt also das „Me too“-Spiel zu spielen (ganz nach dem Motto: Schaut her, wir können auch KI), sollten wir innovativ sein und etwas völlig Neues anbieten, das es so meines Wissens nach weltweit nicht gibt: Digital Process Engineering (DPE)! Damit meine ich neue Lehrstühle, Studiengänge und Forschungseinrichtungen, die ein Ziel verfolgen: Dem zielgerichteten Einsatz von Technologien im Verbund zur Digitalisierung sämtlicher Prozesse (Fachprozesse (nicht nur betriebswirtschaftlich), technische Prozesse, Integrationsprozesse, Produktionsprozesse…) und damit der Förderung digitaler Geschäftsmodelle bei gleichzeitiger Kontrolle über die dabei entstehende Komplexität!
Der Hintergrund zu diesem Vorschlag ist der Folgende: Digitalisierung bedeutet doch letztendlich die effektive und effiziente Umsetzung innovativer Prozesse durch Einsatz von Technologie. Es wird aber nirgends gelehrt, wie das konkret zu erreichen ist und wie die einzelnen Bausteine/Technologien sinnvoll zusammenspielen, um dieses Ziel zu erreichen! Genau das möchte mein Vorschlag erreichen! Beispielsweise müssten folgende Inhalte adressiert werden:
- Ganz fundamental: Das Denken in Prozessen, Process Engines und dem „Prozessgesteuerten Ansatz“! Dies beinhaltet zwangsläufig die qualitativ hochwertige Erstellung von Prozessmodellen als Dreh und Angelpunkt des prozessgesteuerten Denkens.
- Methodische Herangehensweise an Digitalisierungsprojekte
- Kollaborationsmodell zwischen Fachlichkeit und IT (wie wird diese Kollaboration konkret gelebt?)
- Kommunikation von Prozessen (wie sieht eine übergreifende einheitliche und dabei präzise Kommunikation von Prozessen zwischen Fachlichkeit und IT konkret aus?)
- Technologien zur Umsetzung digitaler Abläufe wie z.B. Process Engines, Internet of Things-Werkzeuge, analytische Anwendungen, natürlich auch KI, Big Data-Lösungen, Entscheidungsmanagement, Systemintegrationslösungen, SOAP-/REST-Webservices, Microservices, Webtechnologien, mobile Anwendungen, Tools zur Ereignisverarbeitung, Einbindung von Datenbanken usw. Wichtig ist dabei deren zielgerichteter sachdienlicher Einsatz zur Unterstützung der fachlichen Innovationsprozesse. Technologien sind in den Dienst der Sache zu stellen, sie sind lediglich Mittel zum Zweck!
- Nachhaltige Architekturen für prozessgesteuerte Digitalisierungsprojekte, die sowohl eine effiziente erstmalige Implementierung (Development) als auch Wartung (Operations) und Weiterentwicklung ermöglichen.
- Prozessgesteuerte Implementierungsrichtlinien (Beantwortung der Frage, wie final Prozesse konkret zur Ausführung gebracht werden)
- Beherrschung von Komplexität in großen Digitalisierungsprojekten („Managing Complexity“)
Absolventen einer solchen Ausbildung sind es gewohnt, vernetzt in komplexen Umgebungen zu denken und sind in der Lage, konkrete Digitalisierungsprojekte von der Planung bis zur Umsetzung zu begleiten. Sie werden dadurch zu wertvollen, attraktiven Mitarbeitern, die von der Industrie händeringend gesucht werden!